Kategorie: 7 Wissenschaftsjournalismus

Nur für Eliten? Oder können Wissenschaftsjournalisten auch verständlich schreiben?

Wissenschaftsjournalisten und -kommunikatoren ignorieren, dass 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihre Botschaften nicht verstehen. Es gibt aber Darstellungsformen, um auch diese Bürger zu erreichen, damit sie mitreden können.

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Für wen schreiben Wissenschaftsjournalisten eigentlich? Wen erreichen Wissenschaftskommunikatoren?

Mehr als ein oder zwei Millionen Menschen dürften die populären, gedruckten Wissenschafts- und Technikmagazine wohl kaum erreichen. Mal abgesehen von den speziellen Nerd-Magazinen für Computer-, Handy-, Eisenbahn-, Flugzeug- und Modellbaufans. Vermutlich bringen es auch die Wissenschaftsseiten der Tages- und Wochenblätter auf kaum mehr Leser.

Demgegenüber stehen aber 7,5 Millionen Menschen, die überhaupt nicht richtig lesen können. Dazu noch einmal mehr als 13 Millionen, denen das Lesen Mühe macht und die es deshalb vermeiden, überhaupt zu lesen.

Schreiben für Wenige

Zusammengenommen sind das 40 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 64 Jahren, die nicht richtig lesen können, geschweige denn, den Sinn von Gelesenen verstehen. Keine kleine Minderheit also.

Wissenschaftsjournalisten lassen diese Menschen allein. Es sind gerade die so genannten Qualitäts-Printmedien, die sich in der Wissenschaftsberichterstattung einer ausgefeilten Sprache bedienen. Sie entspricht nur selten den journalistischen Stilkriterien von Direktheit, Kürze, Prägnanz und Klarheit. Längere verschachtelte Sätze sind fast üblich und manch ein Autor versucht sogar mit Wortspielen und Anspielungen literarische Glanzlichter zu setzen.

Das sei den Blättern unbenommen, bedienen sie doch ein Klientel, dass durchaus auch Lust an er Sprache und der Ausdruckskraft geschriebener Texte hat.

Wer nicht lesen kann, ist noch lange nicht dumm

Wenn jemand aber nicht richtig lesen kann, vermag er zwar einzelne Wörter, oft auch kurze Sätze zu lesen und zu verstehen, aber komplizierte Sätze und lange Texte überfordern ihn. Es sind Menschen, die das Lesen nie richtig gelernt oder schon wieder verlernt haben, es sind Lern- und leicht geistig Behinderte, aber auch Migranten.

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Nicht lesen zu können heißt noch lange nicht, dumm zu sein. Auch diese Menschen, die nun wirklich keine Minderheit sind, haben ein Recht darauf, informiert zu werden, damit sie an öffentlichen Diskursen teilzunehmen können.

Seit einiger Zeit bemühen sich viele Wissenschaftsjournalisten redlich darum, mehr gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, anstatt nur das Echo der Aufmerksamkeitsmaschine des Wissenschafts- und Forschungssystems zu sein.

Das ist gut. Aber wenn 40 Prozent der Menschen im Arbeitsalter diesen Themen gar nicht folgen können, bleiben Wissen und Teilhabe an öffentlichen Diskursen weiterhin auf die Bildungseliten beschränkt. Und diesen Eliten, zu denen auch die Journalisten selbst gehören, ist selten klar, wie es um Lebenswirklichkeit in den unteren Etagen steht. Kein Wunder, wenn diese Publikumsferne dazu beiträgt, dass Mythen und Verschwörungstheorien vor allem in den sozialen Netzwerken um sich greifen.

Lösung: Leichte Sprache?

Vielleicht wäre eine Darstellungsform, wie sie das „Netzwerk Leichte Sprache“ seit 2006 propagiert und entwickelt, eine Möglichkeit, auch die zahlreichen Bürger mit Forschungsthemen zu erreichen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen haben.

Bemühungen gibt es bereits. So führte die Journalistin Cornelia Reichert von „Wortboten“ bereits 2013 die Verwendung leichter Sprache auf der Konferenz der Wissenschaftsjournalisten „Wissenswerte“ in einem Werkstattgespräch vor.

Erste Plattformen in leichter oder einfacher Sprache gibt es inzwischen zumindest für allgemeine Nachrichten- und Berichtsthemen, wie etwa beim Deutschlandfunk mit seiner Webseite „Nachrichten leicht“. Die Texte stehen hier zusätzlich als langsam und deutlich gesprochene Audiodateien zur Verfügung. Aber eigene Nachrichten aus der Forschung fehlen noch.

Audio und Video neu denken

Man könnte meinen, dass es ja Radio, Fernsehen und Mediatheken für die gibt, die nicht lesen können.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Auch da ist die Sprache in der Regel nicht einfach und oft zu schnell. Im Radio werden redundante Informationen gerade bei Live-Beiträgen zu selten eingesetzt. Das Fernsehen liefert immer schnellere Schnittfolgen, und Sprache und Bild stimmen oftmals nicht gut überein.

Somit sind auch hier neue Stil- und Sprachformen nötig. Wie das geht, haben die Journalistinnen Anika Assfalg und Kerstin Pasemann im vergangenen Jahr schon mal gezeigt: Wissenschaftsjournalismus in „Leichter Sprache“ im Radio – ein Experiment für mehr Barrierefreiheit.

Wissenschaftsjournalische Grundlagen

Es sollte für Journalisten im Grunde gar nicht so schwer sein, leicht verständlich zu schreiben und zu reden. Man muss sich ja vielleicht nicht unbedingt buchstabengetreu an den strengen Regelkatalog des „Netzwerks Leichte Sprache“ halten, wie es das Portal „Nachrichten leicht“ auch nicht tut. Schließlich ist Verständlichkeit ja eine Grundregel journalistischer Darstellung: Kurze Sätze von nicht mehr 15 Wörtern, keine Schachtelsätze, Aktiv statt Passiv, keine Substantiv- und Genitivketten, konkret statt allgemein, Adjektive auf Informationsgehalt prüfen. Damit dürfte der Sprung zu einer noch leichteren Darstellungsform nicht schwer sein. Leichte und einfache Sprache sind im Grunde nichts anderes, als diese Kriterien wortwörtlich zu nehmen und darüber hinaus ein paar spezielle Wortregelungen, beispielsweise Trennung langer Wörter, und eine einfachere Artikelstruktur zu beachten, wie ein Gedanke, eine Zeile.

Und die Wissenschaftskommunikation?

Bei den Wissenschaftkommunikatoren tut sich bisher offenbar gar nichts. Die Initiative der deutschen Wissenschaft „Wissenschaft im Dialog“ und das „Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation“ verzichten sogar auf die Eigendarstellung ihrer Tätigkeiten in leichter Sprache, wie es selbst bei Behörden üblich ist.

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Nicht manipulieren

Eine Gefahr leicht verständlicher Darstellungsformen soll aber nicht verhehlt werden: Je leichter verständlich ein Text formuliert ist, desto einfacher lässt er sich für Manipulationen missbrauchen. Denn Nuancen kann man damit nicht gut ausdrücken. Das zeigen schon die recht einfach gehaltenen Texte der Bild-Zeitung. In leichter oder einfacher Sprache zu schreiben, erfordert von den Autoren also ein besonderes Verantwortungsbewusstsein, damit sie die Kernaussagen eines Themas nicht in eine falsche Richtung lenken.

Neue Einsicht

Ganz nebenbei: Quellen unter dem Blickwinkel der leichten Sprache zu analysieren, kann sogar für die Autoren selbst äußerst erhellend sein, wie das Beispiel einer Pressemitteilung des VW-Konzerns von 22. April 2016 zeigt, die „Brand Eins“ in leichte Sprache übersetzte: „Volkswagen ist traurig“.


Literatur:
GROTLÜSCHEN, Anke, Wibke Riekmann (Hrsg. 2014): Funktionaler Analphabetismus in Deutschland. Ergebnisse der ersten leo-Level-One Studie. Herausgegeben vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Waxmann-Verlag, Münster. PDF


Bildnachweise (von oben nach unten):
– Reading Newspaper in Addis Abeba: Terje Skjerdal, CC BY 2.0, Wikimedia Commons
– Lesen gefährdet die Dummheit: Carschten, Wikimedia Commons
– Christopher Kloeble beim Lesen: Stephan Röhl, CC BY-SA 2.0, Wikimedia Commons


Aktualisierung:
2016-11-18 Die Aussagen zur Wissenschaftskommunikation wurden geändert. Gleichzeitig wurde stärker verdeutlicht, dass es in der Tat noch einer zusätzlichen Anstrengung bedarf, um von den Grundregeln journalistischer Darstellung, wie kurze Sätze, Aktiv statt Passiv, usw., zur wirklich leichten Sprache zu gelangen.

Wahlkampfnachlese: Keine Fragen gestellt

Es war ein langweiliger Bundestagswahlkampf. Keine Profile, keine wesentlichen Informationen, austauschbare Aussagen.

Anlass zu zahlreichen ironischen oder gar süffisanten Kommentaren in den Medien. Doch niemand kam auf die Idee, Pfeffer in den Wahlkampf zu streuen und echte, substanzielle und bohrende Fragen zu stellen. Auch Wissenschaftsjournalisten nicht.

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Debatten: Anregungen für Wissenschaftsjournalisten

Hanns-J. Neubert (links) und Shawn L. Otto. (Foto: Wolfgang C. Goede)

Hanns-J. Neubert (links) und Shawn L. Otto. (Foto: Wolfgang C. Goede)

Wissenschaft und Forschung wecken Begehrlichkeiten. Politiker erhoffen sich beispielsweise Lösungen für Probleme, die sie überfordern, Unternehmen suchen nach immer neuen Innovationen für ihre Auslaufmodelle, um Profite zu steigern, und Lobbyinitiativen wollen Einfluss gewinnen, weil Wissen Macht ist.

Was aber wollen eigentlich die Wissenschaftler und die Bürger?

Die Bürger bezahlen zwar Wissenschaft und Forschung, doch die Forschungsthemen setzen Politiker, Unternehmen und Lobbygruppen.

Wissenschafter möchten Neues entdecken, Wissen und Erfahrungen sammeln und weitergeben. Das können sie aber nur dort, wo es ihnen Politiker, Unternehmen und Lobbygruppen gestatten, denn Forschungsgelder werden nur für Ziele vergeben, die im Wesentlichen ihren eigenen Interessen dienen.

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Allererste Webseite wieder online

Die erste WWW-Seite von 1993

Genau heute vor 20 Jahren, am 30. April 1993, ging die erste Webseite des World Wide Web WWW öffentlich online. Zur Feier des Jubiläums hat die Europäische Organisation für Kernforschung CERN diese Seite wieder unter der Originaladresse online geschaltet: http://info.cern.ch/hypertext/ WWW/TheProject.html.
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Der neue »Technikjournalist« ist da

Der neue »Technikjournalist« ist da. Hier lesen: Vor Allem das Vorwort und auf Seite 12 den Beitrag über die Wissenschaftsdebatte:

Blogger, die besseren Journalisten?

Newsroon Al Jazeera in Doha, Katar
Foto: Neubert

Keine Angst: Es gibt eine Zukunft für Journalisten! Besonders für die, die sich spezialisiert haben, wie beispielsweise die Wissenschaftsjournalisten. Blogs, Facebook- oder Twitter-Beiträge sind meist keine Nachrichtenquellen, sondern Durchlauferhitzer für Nachrichten aus den traditionellen Medien. Das jedenfalls fand der US-Bericht »Status der Nachrichtenmedien 2012« heraus. Auch die so erfolgreiche Huffington Post greift bei ihren Nachrichten nur auf Quellen der sogenannten alten Meiden zurück.

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Was wird Europas Zukunft befeuern?

ESOF-Workshop, von Links: Edwad Sykes (UK), Viola Egikova (Russia), Barbara Drillsma (UK), Mariko Takahashi (Japan)

Die Fukushima-Katastrophe ließ die Frage nach der Zukunft der Kernenergie auch in Europa wieder hochkochen. Wie gehen Wissenschaftsjournalisten damit um?

Zu diesem Thema organisierte ich für die europäischen wissenschaftsjournalisten EUSJA am 2012-07-15 einen Workshop auf dem EuroScience Open Forum in Dublin.

Als Redner konnte ich gewinnen: Mariko Takahashi (Asahi Shimbun, Japan), Wolfgang Goede (P.M.-Magazin, Deutschland, EUSJA Honorary Secretary), Edward Sykes (Science Media Centre, London, UK), Fumio Arakawa (Global Engineering Institute, Japan), Viola Egikova (Moskowskaya Pravda, Russia; EUSJA Vice President).

Einen ausführlichen Bericht darüber (nicht von mir) gibt es in Englisch auf dem EUSJA-Portal.