Schlagwort: Klima

Klima – Krise, Katastrophe, Wandel, Chance

Malizia: Unite behind the Science

Neues zum Klima – jeden Freitag neu

Meine Artikel bei MIT Technology Review:

  • Klimaerwärmung,
  • Nebenwirkungen und Extremwetter,
  • Anpassung,
  • Ideen, die helfen könnten, die Auswirkungen irgendwie abzumildern.

… zu den Artikeln bei Heise Online..

Vergesst die Versprechungen der Technik

Der Glaube an technische Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels hat seit 40 Jahren dazu beitragen, dass notwendige kulturelle, soziale und politische Transformationen versäumt wurden.

Plasmakammer von ITER

ITER Plasmakammer (Credit © ITER Organization)

Seit über 120 Jahren hat die Menschheit eine Ahnung davon, wie das Klima der Erde funktioniert. 1896 hatte nämlich der Physiker und Chemiker Svante Arrhenius ein erstes, sehr einfaches Klimamodell veröffentlicht. Mit dem 3. Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses über den Klimawandel (IPCC) von 2001 wurde endgültig klar, dass der Mensch mit großer Sicherheit das Klima beeinflusst.

Aber es war schlimmer als gedacht: In einem Update von 2009 zum 4. Sachstandsbericht mussten die IPCC-Autoren zugeben, dass ihre Modelle die Auswirkungen der Klimaerwärmung noch viel zu milde berechnet hatten. Das Arktiseis verschwand um 40 Prozent schneller, der Meeresspiegel dagegen stieg um 80 Prozent stärker an, als die Modelle errechnet hatten.

Dabei hatten sich 1979 bereits Experten zur Ersten Weltklimakonferenz (WCC1) zusammengefunden, um Möglichkeiten zu diskutieren, wie man die vom Menschen verursachten Klimaveränderungen eindämmen könnte. Sie warnten bereits damals vor den Folgen der bis heute weiter zunehmende Verbrennung fossiler Brennstoffe.

40 Jahre kein Weiterkommen

Seit mindestens 40 Jahren wurden bis heute keine nennenswerten Schritte zur Eindämmung des CO2-Anstiegs unternommen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Technik mit immer neuen Ideen kam, wie sich das CO2 aus der Atmosphäre entfernen lassen könnte. Nur damit die Industrie mit weiterhin steigender Kohle-, Öl- und Gasverbrennung wachsen kann.

Es waren allesamt leere Versprechungen. Dazu gehören Kernfusion, gigantische Anlagen mit CO2-Saugern, Wiederherstellung von Eisflächen mit Millionen von windbetriebenen Pumpen, Partikel in die Stratosphäre sprühen, Ozeane mit Eisen düngen, riesige Landflächen mit Wald bepflanzen oder mit Basaltkies bestreuen. Den Apologeten war weder die Zeitdimension klar, in der gehandelt werden muss, noch welche enormen Flächen für die Ernährung verloren gehen würden oder dass in Pflanzen gebundener Kohlenstoff dort auch wieder frei wird.

Folgen leerer Versprechungen

Der fatale Effekt: Die politischen Entscheider glaubten, dass die Technik es schon richten wird. Das befördert seit 40 Jahren eine Politik der Aufschiebung, der Definition immer neuer Klimaziele und vor allem falsche Anpassungsentscheidungen.

Akribisch nachweisen konnten das jetzt Duncan McLaren und Nils Markusson vom Umweltzentrum der Universität Lancaster in ihrem Artikel „Die Co-Evolution technologischer Versprechen, Modellierung, Politik und Klimawandelziele“, schienen in „Nature Climate Change“ (https://doi.org/10.1038/s41558-020-0740-1).
Duncan erforscht Gerechtigkeitsfragen des Climate Engineering, Markusson die Politik der Umwelttechnik.

Sie stellen fest, dass die fatale gemeinsame Entwicklung von Zielen, Modellen und Technologien letzten Endes dazu führt, notwendige Handlungen zu verzögern.

In ihrem Artikel heißt es: „Jedes neue Versprechen konkurriert nicht nur mit existierenden Ideen, sondern spielt auch jeden Sinn für die Dringlichkeit herunter und ermöglicht so immer wieder das Hinauszögern politischer Ziele für Klimamaßnahmen. Es zersetzt damit auch das gesellschaftliche Engagement für sinnvolle Antworten.“

Die Kurve flach halten

Hier drängt sich die Analogie zur Corona-Krise auf: Die Kurve flach halten. Aufs Klima bezogen: Die Erwärmung so niedrig halten, dass die Menschheit es gerade noch so ertragen kann.

Es waren gesellschaftliche Verhaltensänderungen, die die Kurve der Infektionen flach hielten, damit das Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Technische Lösungen allein, wie einfacher Mund-Nasenschutz könnten dagegen dazu verführen, nicht mehr den physischen Abstand einhalten zu müssen, um Infektionen zu verringern. Zuerst kamen also die Verhaltensänderungen, dann erst technische und organisatorische Lösungen, die sich aber je nach zukünftigen Trends fexibel und adäquat anpassen lassen.

„Unsere Hoffnungen auf immer neue Technologien zu stützen ist nicht weise. Stattdessen ist es lebenswichtig, eine breite Entwicklung sowohl von Verhaltens- wie auch technologischen Antworten auf den Klimawandel zu ermöglichen“, resümieren Duncan und Markusson.

Aber genau das konterkarierte Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt auf dem diesjährigen Petersberger Klimadialog. „Es gehe ihr darum, ‚deutlich zu machen, dass wir nicht etwa am Klimaschutz sparen, sondern in zukuftsfähige Technologien investieren‘„, zitierte die Taz am 28. April 2020 aus ihrem Redebeitrag.


Ergänzung 2020-05-05: Den Kindern und Jugendlichen der Fridays-fo-Future-Bewegung ist schon länger klar, dass das Warten auf technische Lösungen die Bedrohung durch den Klimawandel eher verstärkt – bevor Duncan McLaren und Nils Markusson jetzt auch den oben dargestellten wissenschaftlichen Hintergrund publizierten.

Am Tag, bevor die EU-Kommission am 4. März 2020 ihren Vorschlag für ein erstes europäisches Klimagesetz im Rahmen des European Green Deal vorstellte, schrieben sie einen offenen Brief an die Führungskräfte der EU. Darin heißt es:

„Und solange wir nicht über die Technologien verfügen, mit denen wir unsere Emissionen im großen Maßstab auf ein Minimum reduzieren können, können wir die „Nullbilanz“ oder „Kohlenstoffneutralität“ vergessen. Wir brauchen eine echte Null. […]

Und da diese Technologien für negative Emissionen, auf die Sie Ihr ganzes Vertrauen gesetzt haben, heute in dieser Größenordnung nicht existieren, müssen wir einfach damit aufhören, bestimmte Dinge zu tun. Auch wenn das bedeutet, dass wir unsere Wirtschaft verändern müssen.“


Dieser Text erschien auch auf https://teli.de

Zehn Jahre nach Al Gores Präsentation und Film „The Inconvenient Truth“ (Unbequeme Wahrheit) wurde es Zeit die Welt erneut aufzurütteln. Jetzt ist es Leonardo DiCaprio, der am 30 Oktober 2016 seinen Film „Before the Flood“ (Vor der Flut) veröffentlichte. Binnen zwei Tagen klickten rund 5,5 Millionen Zuschauer den spielfilmlangen Dokumentarfilm mit seinen beeindruckenden Bildern und Aussagen an. – Aber: Es sind gerade die „Grün“ wählenden und denkenden Bürger, die sich sicherlich auch besonders bei Klimawochen engagieren, die am häufigsten ins Flugzeug steigen. Auch beim Energieverbrauch gibt es Korrelationen: Je höher Einkommen und formale Bildung, umso höher das Umweltbewusstsein, umso höher aber auch der Energieverbrauch – wenn man von einer kleinen Gruppe konsequent Handelnder absieht.

Weiterlesen auf: Wissenschaftsdebatte.de

Kohlenstoffbürokrat:
Der Klima-Nerd auf dem Hausboot

Zwei Drittel der wichtigsten Klimagasemissionen entstammen nur 90 Firmen auf der Welt, freigesetzt aus der Verbrennung fossiler Treibstoffe, Methanlecks und der Zementherstellung. Die Unternehmen emittieren die Gase entweder selbst oder ihre Kunden tun es: die Konsumenten und weitere Industrien.

Deepwater Horizon offshore drilling unit on fire 2010
Deepwater Horizon am 20. April 2010 (c) US Coast Guard via Wikimedia Commons

Die Studie erschien bereits 2013 im wissenschaftlichen Peer-Review-Magazin „Climatic Change“. Damals erregte seine Arbeit in Expertenzirkeln einiges Aufsehen.

Wirtschaftsexperten hielten es für unfair, die Produzenten von Produkten an den Pranger zu stellen, die schließlich nur das auf den Markt bringen, wonach Konsumenten und Kunden verlangen.

Umweltrechtler sahen das anders. Für sie wurde durch die Veröffentlichung endlich der Mythos zerstört, das jedermann verantwortlich für die Treibhausgasbelastungen ist – wenn jeder verantwortlich sei, dann ist es keiner.

Der Autor der Studien, der Geograf Richard Heede, formuliert es so: „Als Konsument habe ich eine gewisse Verantwortung für mein Auto, ja. Aber wir leben in einer Illusion, wenn wir glauben, wir hätten eine Wahl. Denn es ist in erster Linie die Infrastruktur, die diese Wahl für uns trifft.“

Dass Heedes Arbeit jetzt wieder im Licht der Öffentlichkeit steht, liegt an einer Vorladung, die er und die großen US-Umweltorganisation vom Lamar Smith erhielten, einem harten Klimaskeptiker und dem Vorsitzender des Komitees für Wissenschaft, Weltraum und Technologie des US-Repräsentantenhauses. Sie steht im Zusammenhang mit einer Klage gegen ExxonMobile, das beschuldigt wird, Zweifel am Klimawandel in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, auch gegen die Überzeugungen der eigenen Wissenschaftler. Smith witterte eine Konspiration zwischen dem Staatsanwalt und den Umweltanwälten. Deshalb forderte von den US-Umweltverbänden die Offenlegung der Korrespondenz und anderer Unterlagen, darunter auch die von Heede.

Heede, in Norwegen geboren, ist ein echter, detailversessener Nerd. Er arbeitet allein in einem gemieteten Hausboot in der San Francisco Bay inmitten von Aktenordner-Stapeln vor zwei Monitoren. In den frühen 2000er Jahren erhielt er einen Vertrag vom Klimagerechtigekeitsprogramm von Greenpeace International in London, um die Klimabilanz von ExxonMobile zu untersuchen. Das dauerte 15 Monate. Greenpeace gab ihm eine Stipendium, um auch die gesamte Fossilindustrie zu untersuchen. Es dauerte acht Jahre, um von überall auf der Welt detaillierte Produktionsdaten zusammenzuklauben. In dieser Zeit endete das Stipendium, sein Beratungsunternehmen ging pleite, er reizte seine Kreditkarte aus, machte Schulden und verlor schließlich sein Haus. Mit kleinen Hilfen und Verträgen hielt er sich über Wasser. Jetzt will er mit seinen Daten, die bis 1751 zurück reichen, ein mathematisches Modell bauen, dass den Einfluss der 90 großen Ölkonzerne in die Zukunft projizieren soll.

Aber der Nerd macht auch kein Hehl daraus, dass er die Ölindustrie bewundert. Er sagte dem Wissenschaftsmagazin „Science“: „Sie haben fantastische Anstrengungen unternommen, um Ressourcen für die Verbesserung der Menschheit zu finden,“ oft unter extremsten Umweltbedingungen. Sie hätten einen so großartigen Job gemacht, dass wir nicht dazu kamen, einmal Pause zu machen und über die unerwünschten Auswirkungen nachzudenken. „Jetzt müssen wir mit dem Resultat umgehen.“

Die ganze Geschichte von Richard Heede, von seiner anfänglichen Wissenschaftlerkarriere bis zu seinem Leben in einfachsten Verhältnissen, von seiner weltweiten Suche nach belastbaren Daten, hat das Wissenschaftsmagazin „Science“ aufgeschrieben. Dort findet sich auch eine animierte Grafik seiner Daten von 1885 bis 1913: http://www.sciencemag.org. Zusatz-Datenmaterial als DOCX-Datei.

Die Homepage von Richard Heedes »Climate Mitigation Services«

Welt-Klimakonferenz Hamburg 2015

Kiribati also. Das ist einer der Inselstaaten im Pazifik, der wohl in den nächsten 50 bis 60 Jahren untergehen wird. Als vierköpfige Delegation des Staates Kiribati sollten wir bei der Welt-Klimakonferenz Hamburg 2015 das Beste herausholen. An dem Tag, der auch der letzte der echten Welt-Klimakonferenz in Paris war, die an diesem Abend aber bereits in die Verlängerung gegangen war.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto von links: Dr. Florian Rauser, Dr. Satya Bhowmik, Dr. Schirin Fathi, Dr. Sabine Hain, Dr. Bernd Hezel, Ana Soliz Landivar de Stange © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto von links: Dr. Florian Rauser, Dr. Satya Bhowmik, Dr. Schirin Fathi, Dr. Sabine Hain, Dr. Bernd Hezel, Ana Soliz Landivar de Stange © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek.

18 Experten beraten Delegationen

700 »Delegierte« aus 195 Staaten der Welt saßen am 11. Dezember 2015 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und ließen sich sechs  Klimaexperten aus Wissenschaft und Politik über die neueste Entwicklung des Weltklimas informieren. Dazu gehörte  die graue Eminenz der deutschen Klimaforschung, Hartmut Graßl, langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, in den 1990er Jahren Direktor des Weltklimaforschungsprogramms bei der Welt-Meteorologieorganisation der UNO in Genf. Mit dabei auch Mojib Latif, Ozeanograph und Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und Rosemarie Benndorf, gelernte Obstgärtnerin, studierte Meteorologin und Mitglied der deutschen Delegation bei den Welt-Klimakonferenzen 2000 bis 2011. Insgesamt 18 hochrangige Experten aus Natur- und Kulturwissenschaften, aus Politik und Wirtschaft waren aus halb Deutschland angereist, um den Delegationen zu helfen, einen Klimakompromiss zu finden, der die Welt vor dem Wärmetod retten könnte.

Das Wissen der Experten legte die Grundlage für die nachfolgenden Meetings, Coachings und bilateralen Gespräche, zu denen die Delegierten im 20-Minuten-Rhythmus immer wieder andere Konferenzräume im Schauspielhaus ansteuerten.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: Publikum bei der Produktion »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: Publikum bei der Produktion »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek

Ein bilaterales Gespräch

Für uns, die Delegation von Kiribati, war ein bilaterales Gespräch mit der Delegation von Turkmenistan angesetzt. Aber worüber können sich Vertreter eines Landes, das in ein paar Jahrzehnten von der Weltkarte verschwunden ist, mit der Delegation eines zwar sehr armen, unter Wassermangel leidenden Landes unterhalten, dessen Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf seinen bisher nicht ausgebeutete Öl- und Gasreserven liegen?

Coaching

Die Entwicklungsländer hätten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder darin versagt, ihre Forderungen durchzusetzen. Schließlich hätte jedes von ihnen, genau wie die reichen Staaten, eine Stimme gehabt, mit der sie hätten Druck ausübern können. So Toralf Staud, Journalist, Autor von »Wir Klimaretter. So ist die Wende noch zu schaffen« und Mitbegründer von »klimaretter.info«, der als als Coach und Einpeitscher für die Delegierten der Entwicklungsländer fungierte. Deren Delegationen saßen dicht gedrängt wie auf Hühnerleitern in der dunklen Hinterbühne des Schauspielhauses und schauten auf Hauptbühne, die Sonnenseite der Erde. Dort ließen es sich die Delegierten der reichen Länder in Liegestühlen und mit Kopfhörern auf den Ohren entspannt unter den großen Bühnenscheinwerfern gut gehen.

Auf der Sonnenseite Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto: Dr. Vera Schemann © Visarut Namsiripongphan / Kunstschule Wandsbek

Auf der Sonnenseite
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto: Dr. Vera Schemann © Visarut Namsiripongphan / Kunstschule Wandsbek

Vor der Schlusskonferenz gaben alle Delegationen ihre Zusagen ab, wieviel CO2 ihre Staaten einsparen, wieviel Geld sie in den grünen Klimafundus, den Green Climate Fund, einzahlen und ob sie Geld aus dem Fundus beantragen wollen. die Präsentation der Daten zeigte, dass die 700 Delegierten in Hamburg sehr wohl bereit waren, die Klimaerwärmung nachhaltig zu reduzieren. Die Konferenz war in dieser Hinsicht noch erfolgreicher als das Pariser Vorbild. Was allerdings wie in Paris offen blieb, waren Umsetzungs- und Kontrollregeln.

Bericht aus Paris

In einer Lifeschalte berichtete der Journalist Nick Reimers, ebenfalls ein Mitbegründer von »klimaretter.info«, vom Stand der Verhandlungen bei der Welt-Klimakonferenz COP21 in Paris. Eindrücklich zeigte der Moderator dazu, wie viele strittige Wort- und Satzformulierungen im Entwurf Pariser Abschlusserklärung noch mit bunten Klammern markiert waren.

Zielgruppe erreicht

Es war das vierte Mal, dass die Hamburger Gelegenheit hatte, am eigenen Leib zu erfahren, wie es auf einer Welt-Klimakonferenz zugeht und welche zum Teil erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekte derartige Verhandlungen bestimmen. Den 2.800 überwiegend jungen Menschen konnte die Inszenierung eine Ahnung von der Komplexität der physikalischen und chemischen Zusammenhange des Lebenserhaltungssystems Erde vermitteln. Geichzeitig zeigte sie aber auch, wie kompliziert globale menschliche Zusammenhänge und Situationen jenseits lokalen Handelns sind, die es so schwer machen, gemeinsame Ziele auszuhandeln.

Inszeniert wurde die organisatorische und inhaltliche Meisterleistung vom Regietrio »Rimini Protokoll« mit Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Benno Tobler

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Benno Tobler


Weitere Informationen auf der Seite des Deutschen Schauspielhauses:
http://schauspielhaus.de/de_DE/kalender/welt_klimakonferenz.12287278 

Das Konzept mit Filmen der Veranstaltungen findet sich auch auf den Seiten von »Rimini Projekt«:
http://www.rimini-protokoll.de/website/de/project_6528.html 

Wissenschaftler für weniger Flugreisen

2015-10-27: 119 Akademiker aus aller Welt und allen Disziplinen fordern in einer Petition[1], dass Wissenschaftler nicht mehr so viel mit dem Flugzeug zu ihren Kongressen fliegen.

Auf Change.org hat die Petition bis heute bereits 261 Unterstützer gefunden[2].

Aeroclipart

»Universitäten und wissenschaftliche Gesellschaften klammern die Nachhaltigkeit oft aus,« sagt John Wiseman, einer der Erstunterzeichner und geschäftsführender Direktor der Instituts für eine nachhaltige Gesellschaft der Universität Melbourne, Australien. »Dabei haben sie sehr große Kohlendioxid-Fußabdrücke wegen der häufigen Flugreisen der Mitglieder ihrer akademischen Gemeinschaften.«

»Wir müssen genauso handeln, wie wir lehren,« ergänzt David Jansson, Kulturgeograph an der Universität Uppsala, Schweden. Meistens würde ja andere Arten für den wissenschaftlichen Austausch unter Forschern geben, beispielsweise Videokonferenzen. »Auf kürzeren Reisen gibt es sowieso alternative Reisemöglichkeiten.«

Die Flugreisen der Wissenschaftler an seiner eigenen Universität Uppsala verursachte im vorigen Jahr 7,3 Millionen Kilogramm Kohlendioxid.

Flugreisen sind verantwortlich für zwei bis drei Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen, so viel wie ganz Deutschland oder die Stadt Beijing in einem Jahr in die Luft blasen. Der Anteil der Kohlendioxidemissionen aus dem Flugverkehr steigt stetig, weil die immer exzessiveren Flugmeilen die Einsparungen durch technischen Verbesserungen zunehmend ausbremsen.

Mit ihrer Petition wollen die Wissenschaftler eine breite, selbstkritische Debatte in Universitäten und Forschungseinrichtungen anregen.

In Deutschland hat der Aufruf bei den Akademikern bisher kaum ein Echo gefunden.


A Petition Calling Upon Universities and Professional Associations to Greatly Reduce Flying

Press Release


[1] Flying Less: A Petition: https://academicflyingblog.wordpress.com

[2] Change.org: Call on Universities and Professional Associations to Greatly Reduce Flying: https://www.change.org/p/universities-and-professional-associations-call-on-universities-and-professional-associations-to-greatly-reduce-flying?recruiter=294645973&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink


Bild: „Aeroclipart“. Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aeroclipart.JPG#/media/File:Aeroclipart.JPG

Klima (Woche 38)

Der Klimawandel war auch in dieser Woche kaum eine Meldung wert. Doch er macht genauso wenig Halt, wie die Flüchtlingsströme. Klimawandel und Flüchtlinge haben eines gemeinsam: Sie kommen unausweichlich. Schon lange ist klar, dass der Klimawandel extremes Wetter bringen wird und dass die reichen Länder zunehmend mehr Flüchtlinge beherbergen werden. Und das offenbar schneller als gedacht.

Düne mit wartenden Menschen

Trockenheit. Foto: Neubert

August 2015 war weltweit der zweitwärmste August seit 1880. Noch wärmer war dieser Monat nur im vergangenen Jahr. Doch die eigentlichen Wärmerekorde dieses Jahres brachten die Monate Januar mit 0,81 Grad und Februar mit 0,88 Grad über dem gobalen Mittelwert der Jahre 1951 bis 1980. Es sieht so aus, dass 2015 ein neuerliches wärmstes Jahr seit der Industrialisierung wird[1].

Mehr noch: Im Juni war die kritische Marke von 400 ppm CO2 überschritten, eine Marke, die die Politik eigentlich nicht überschreiten wollte, um das Zwei-Grad-Ziel nicht zu gefährden (ppm = Anteile pro Million anderer Teile).

Regen und Wasser. Foto: Neubert

Regen und Wasser. Foto: Neubert

Damit nicht genug: Der Erde steht jetzt noch das natürlich Klimaphänomen El Niño bevor. Eintreten wird es wohl zwischen dem kommenden Oktober und Januar. Veränderte Meeresströmungen verursachen dann eine starke Erwärmung des Ozeans auf beiden Seiten des Äquators. Die Folge: Länder am westlichen Rand des Pazifik werden Dürren erleben, während Peru und Chile mit extremen Regenfällen rechnen müssen. Beides wird erneut Menschen dazu veranlassen, sich auf die Suche nach einem besseren Platz auf der Erde zu begeben, einem besseren Leben.


[1] GLOBAL Land-Ocean Temperature Index der Nasa. http://data.giss.nasa.gov/gistemp/tabledata_v3/GLB.Ts+dSST.txt

Was in der vergangenen Woche wichtig war

Was es aus Wissenschaft und Technik in der Woche 37/2015 nicht auf die Titelseiten schaffte, aber es wert ist darüber zu berichten. Klima ist dabei natürlich ein Dauerthema. Der „Sternmensch“, Homo naledi, hat es immerhin ausführlich auf die Wissenschaftsseiten gebracht. Für die Individualität von Nanopartikeln gilt dies nicht, auch wenn es Konsequenzen für ihre Anwendung hat. Und dass Tabak wenigstens Kulturgeschichte schreibt, kann man immerhin auch als gesellschaftlichen Verdienst von Rauchern sehen.


Klima

Das Thema „Klimawandel“ ist eigentlich ein Dauerthema und jeden Tag, jede Woche wichtig. Gerade auch jetzt, wo Flüchtlinge, Willkommenskultur und Fremdenfeindlichkeit die Titelseiten beherrschen. Genauso wie die Völkerwanderung aus Kriegsgebieten ins reiche Europe vorhersehbar waren, genauso ist vorhersehbar, dass schon bald auch zunehmend mehr Klimaflüchtlinge die Festung Europa stürmen und erobern werden. „Klimabedingte Flucht ist ein weitgehend unterschätztes Phänomen. Wir sprechen von Millionen“, sagte der Völkerrechtler Walter Kälin kürzlich in einem Interview[1].

Die Fakten liegen in zahlreichen Forschungsergebnissen auf dem Tisch. Besonders jetzt vor dem Klimagipfel in Paris im kommenden November, hat die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichung noch einmal zugenommen. Niemand kann heute mehr sagen, er hätte es nicht gewusst.

Dennoch geht der Ausstoß des wichtigsten Klimagases, das die Menschheit beeinflussen kann, munter weiter. Die CO2-Konzentration lag an der Standard-Messstation Mauna Loa auf Hawaii in Woche zwischen dem 30. August und dem 6. September mit durchschnittlich 398,49 ppm um 2,37 ppm über dem Wert des Vorjahres im gleichen Zeitraum. „ppm“ bedeutet, „parts per million“, also ein Molekül CO2 auf eine Million anderer anderer Luftmoleküle. Das ist ziemlich viel, betrug ihr Anteil in vorindustrieller Zeit, also vor etwa 1850, doch nur rund 280 ppm. Beim Weltkongress in Rio im Juni 1992 waren es dann es schon 364 ppm. Um das politische Zwei-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent einzuhalten, müsste die Konzentration unter 400 ppm bleiben. Das war im Juni 2015 aber bereits überschritten. Mehr dazu bei CO2Now.


Atmospheric CO2 data


Homo naledi

Skelett Homo naledi (Photo by John Hawks/University of Wisconsin-Madison)

Skelett Homo naledi (Photo by John Hawks/University of Wisconsin-Madison)

Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte das Fachblatt eLife die Entdeckung einer neuen Menschenart. Die Forscher um Lee R. Berger tauften sie „Homo naledi“[2].

In einem Höhlensystem namens „Rising Star“ in Südafrika fanden die Wissenschaftler 1550 Knochenstücke, die sie 15 Individuen zuordnen konnten. „Naledi“ heißt auf Sesotho „Stern“. Noch weiß man nicht genau, wann dieser 1,50 Meter große, 45 Kilogramm leichte und mit einem orangengroßen Gehirn ausgestatte Verwandte gelebt hat.


Jedes Nanopartikel ist einzigartig

Nanopartikel derselben Größe, aus demselben Material und mit derselben Form können dennoch sehr äußerst verschiedenen Eigenschaften haben. Zumindest gilt das erst einmal für Partikel, die Wasserstoffgas binden. An ihnen wird geforscht, weil sie in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer sicheren Wasserstoffzukunft spielen sollen, beispielsweise beim Transport und der Lagerung von Wasserstoff, für bessere Katalysatoren oder in Brennstoffzellen und als besonders empfindliche Sensoren.

Doch alle Nanopartikel weisen von Beginn an verschiedene Fehler in ihrem Atomgitter auf, die sie für eine Anwendung mehr oder (meist) weniger geeignet machen.

Entdeckt haben diese unerwünschten Eigenschaften Forscher um Christoph Langhammer von der Chalmers Universität in Göteborg, Schweden. Denn mit den herkömmlichen mikroskopischen Methoden sind die Fehler in den Partikeln nicht erkennbar. Die Wissenschaftler untersuchten stattdessen das Verhalten von Plasmonen. Was das Photon für die Messung elektrischer Schwingungen ist, ist ein Plasmon für die Messung von Schwingungen in einem atomaren Metallgitter. Sie werden als elementare Quasiteilchen bezeichnet, deren Verhalten Auskunft über die Ladungsträgerdichte in Halbleitern, Metallen und Isolatoren gibt[3].


Tabak historisch

Buchveröffentlichung: An der Kulturgeschichte des Tabaks lassen sich soziale und kulturelle Veränderungen in Europa und der Welt nachzeichnen. Auf die Idee muss man erst einmal kommen.

Im 16. Jahrhundert gelangte Tabak als „braunes Gold“ in die vornehmen Kreise Europas. Von da an sollte das nikotinhaltige Pflanzenprodukt die „Genusskultur“ vieler Menschen über Generationen hinweg bestimmen. Ab dem Ende des 20. Jahrhunderts wurde Tabak dann zunehmend stigmatisiert und als gesundheitliches Übel der Moderne dargestellt[4].


[1] KÄLIN, Walter im Interview: Wir sprechen von Millionen. Akzente 3/2015, Das Magazin der GIZ, S. 25.

[2] BERGER, Lee R, et.al. (2015): Homo naledi, a new species of the genus Homo from the Dinaledi Chamber, South Africa. eLife 2015;4:e09560, DOI: http://dx.doi.org/10.7554/eLife.09560, http://elifesciences.org/content/4/e09560.full

[3] KARLSSON-OTTOSSON, Ulla (2015): Forskare avslöjar: Varje nanopartikel är unik. Ny Teknik 2015-09-07 http://www.nyteknik.se/nyheter/innovation/forskning_utveckling/article3928261.ece

[4] JACOB, Frank; Gerrit Dworok (Hrsg. 2015):  Tabak und Gesellschaft. Vom braunen Gold zum sozialen Stigma. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2015, 406 Seiten, Band 1 der Reihe „Wissen über Waren – Historische Studien zu Nahrungs- und Genussmitteln“, 78,00 Euro, ISBN 978-3-8487-1628-9.

Mit dem Rücken zum Meer

Spricht man dieser Tage angesichts von Asyl und Migration vom Meer, denken viele an das blaue Massengrab Mittelmeer – außer denjenigen, die sich an dessen Stränden braten ließen. Dabei flohen viele nicht vor Kriegen, sondern vor den Auswirkungen des Klimawandels – und werden abgeschoben. Indess waren es die reichen Ländern, deren maßloser Konsum ihre Lebensgrundlage zerstört hat.

Reden wir also übers Klima. Und weil die Erde ein Wasserplanet ist: Reden wir über das Weltmeer.

Den Ozeanen geht es schlecht. Doch wir sehen es nicht. Der Horizont ist immer noch weit. Die Wellen rauschen ewig unbeirrt, mal sanft und beruhigend, mal schaumig brüllend. Der Wind streicht durchs Haar oder peitscht manchmal die Haut. Es riecht nach wie vor nach Tang und Salz, manchmal vermischt mit Schiffsdiesel.

Blick von Malmö über den Öresund zur Örresundbrücke

Über den Wellen: Träume. Foto: Neubert

So what?

Fast drei Viertel der Erde sind von Wasser bedeckt, das um die drei bis vier Kilometer, manchmal über zehn Kilometer tief reicht – mehr als die höchsten Berge hoch sind. Das ist nicht neu, kann aber ab und zu die Perspektive wieder gerade rücken.

Die sieben Milliarden Menschen dagegen drängen sich auf 29 Prozent der Erdoberfläche, zumeist an den Küsten. Für die Ernährung all dieser Menschen stehen nicht einmal zehn Prozent der Globusoberfläche zur Verfügung. Der vielfach idealisierte tropische Regenwald breitet sich auf weniger als drei Prozent der Erde aus, alle andern Wälder bedecken noch einmal sechs Prozent.

Allein diese Größenordnungen zeigen, was das eigentliche Lebenserhaltungssystem der Erde ist: Der Weltozean.

Aber wir leben noch

Dass die Menschheit trotz Umweltverschmutzung und Klimagasausstoß überhaupt noch überlebt, liegt daran, dass die Meere vieles schlucken ohne dass wir es merken.

Die Dimensionen machen aber auch deutlich, wie gewaltig die Menge an Umwelt- und Klimaschadstoffen ist, die die heute knapp 1,3 Milliarden Menschen in den reichen Ländern einfach verkonsumiert, verbrannt und weggeworfen haben und es immer noch tun. So viel, dass sie zu inzwischen unübersehbaren Problemen für einzelne Landökosysteme geworden sind. Aber nur die sind es, die die Menschheit sieht und leibhaftig erfährt.

Den Meeren dagegen kehrt die Menschheit den Rücken zu. Müll und Abgase decken die Wellen gnädig zu. Doch als ausgleichender Wärmepuffer kommen sie schon an fühlbare Grenzen.

Weit mehr als ein Viertel des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2), das der Mensch seit der Industrialisierung durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas in die Luft geblasen hat, haben die Weltmeere aufgenommen. Teilweise nahmen es die winzig kleinen Planktonorganismen auf und zogen es beim Absterben mit in die Tiefe.

Chemische Reaktionen kann man nicht abschalten

Aber der größte Teil des CO2 setzte chemische Reaktionen in Gang, die noch Hunderte von Jahren weiter laufen werden und nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Folge: Das Meerwasser ist saurer geworden. Zahlreiche Planktonorganismen und Korallen können nicht mehr ihre Kalkschalen und -skelette aufbauen. Sie sterben ab und entfallen damit auch als Transporteure für CO2 in die Tiefe.

Wie gefährlich nahe die Ozeane daran sind, als Lebenserhaltungssystem zu kollabieren, zeigen eine Reihe von wissenschaftlichen Modellrechnungen und Auswertungen, die gerade in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden. Sie kommen alle zum selben Ergebnis: Den Ozeanen droht der Kollaps.[1] [2] [3]

Deshalb müssen wir also auch über die Ozeane reden. Sie haben keinen Schalter, mit dem sich die chemischen Reaktionen abschalten lassen. Sie werden also weiter auch das regionale Wetter massiv beeinflussen – und das für die meisten Menschen nicht mehr positiv.

Jetzt Zinsen zurück zahlen

Es wird ein ganz normaler Zustand werden, dass immer mehr der knapp 6 Milliarden Menschen die Reise antreten, Menschen, denen die 1,3 reichen Milliarden seit Jahrhunderten die Ressourcen Luft, Land, Bodenschätze und Einkommen streitig machen. Jetzt fordern die Armen legitimerweise Rückzahlungen und Zinsen von dem Kapital, das vor allem Europa und Nordamerika reich machte.

Flüchtlingscamp Choucha, Tunesien

Flüchtlingscamp Choucha, Tunesien. Foto: Mohamed Ali Mhenni (Wikimedia)


[1] Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (2015): CO2 aus der Luft zurück zu holen kann die Ozeane nicht retten. https://idw-online.de/de/news?print=1&id=635582

[2] Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (2015): Den Ozeanen droht der Kollaps http://www.helmholtz.de/erde_und_umwelt/den-ozeanen-droht-der-kollaps-4307/

[3] Alfred-Wegener-Institut (2015): Die Meere können nicht mehr http://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/die-meere-koennen-nicht-mehr-forscher-befuerchten-einen-grundlegenden-wandel-der-ozeane-selbst.html

Grünes Paradox

Stromsparen führt offenbar zu einem immer höheren Energieverbrauch. Wie sonst ist zu erklären, dass gerade in den vergangenen Jahren der jährliche CO2-Ausstoß in Deutschland, in Europa und vor allem weltweit dramatisch angestiegen ist – trotz milliardenschwerer Investitionen in grüne Technologien in Deutschland, Europa, den USA, China, Korea oder Brasilien? Obwohl überall neue Solardächer und Windmühlen spießen, werden gleichzeitig immer mehr Kohlekraftwerke gebaut – in China eins pro Woche⁠1.

Auch in Deutschland wurde in den vergangenen 23 Jahren nie so viel Kohle, v.a. Braunkohle in Strom verwandelt, wie im vergangenen Jahr. »Die Energiewende ist eine Kohlewende«⁠2, schrieb die »Tageszeitung« denn auch schon. Kohle ist billig und die Ressourcen sind schier unerschöpflich im Vergleich zur endlichen Kapazität der Atmosphärendeponie für CO2. Kohle, Öl und Gas bestehen vornehmlich aus Kohlenstoff. Werden diese fossilen Brennstoffe verbrannt, entsteht das Treibhausgas Kohlendioxid CO2. Es gibt noch zahlreiche andere Treibhausgase, aber es ist der vom Menschen verbrannte Kohlenstoff aus den Tiefen der Erde, der in erster Linie den Treibhauseffekt antreibt. Das CO2 ist auch der Stoff, den die Menschheit am einfachsten kontrollieren könnte.

In Deutschland will sich die Bundesregierung zwar dafür einsetzen, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, aber schon jetzt scheint klar, dass das Ziel wohl eine Illusion ist, wie das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien meint.⁠3 

Unbequeme Wahrheit

Warum das so ist, präsentierte ausgerechnet der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, Präsident des IFO Instituts für Wirtschaftsforschung in München in seinem Vortrag »Energiewende ins Nichts«⁠4 am 16. Dezember an der Universität München. 

Es kritisierte, dass sich die energiepolitischen Aktivitäten in Deutschland sich vor allem auf die elektrische Energie konzentrieren würden, die aber gerade einmal knapp 21 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Für die Vermeidung von Kohlendioxid aus fossilen Energieträgern von über 84 Prozent gebe es aber keine überzeugenden Konzepte.

Denn ausschließlich auf Öl, Kohle und Gas basierten industrielle Prozesswärme mit über 19 Prozent, Raumwärme und Warmwasser mit über 26 Prozent und der Autoverkehr mit fast 27 Prozent. Strom aus Kohle und Erdgas machen gerade einmal 12,4 Prozent aus – eine Größenordnung die sich in Zukunft in der Tat relativ leicht durch regenerative Energien ersetzen lassen könne. Die vielen Millionen Quadratmeter Solarpanele in Deutschland lieferten aber gerade einmal 1 Prozent der Endenergie, die an etwa 24.000 Windkraftanlagen⁠5 1,8 Prozent. Biomasse, Abfallverbrennung und Wasserkraft steuern noch einmal magere 2,3 Prozent bei.

Für Sinn stellt der Klimawandel die größte Herausforderung für das Überleben der Menschheit dar. Er zeigte in seinem Vortrag nur auf, wie die Lage ist und drang darauf, über blindem Aktionismus, für den er auch das Erneuerbare-Energie-Gesetz hält, nicht die ganz großen und entscheidenden Kohlendioxidschleudern zu vergessen. Einen Lösungsvorschlag blieb er in seinem Vortrag aber schuldig.

Die Atmosphäre gehört den Besitzern der fossilen Energieressourcen

Ein Lösungsansatz hat er allerdings bereits in seinem Buch »Das grüne Paradoxon«⁠6 von 2008 entwickelt, das 2012 revidiert neu erschien. Die Fakten, die er darin seiner Lösung zu Grunde legte, bezweifelt niemand. Nur die Lösung, auf die er dann kommt, wird von Umweltverbänden und den Klimawissenschaften nahestehenden Wirtschaftswissenschaftlern kritisiert.

Es ist fast eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet ein neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler Energiepolitiker und Energiewende-Aktivisten darauf hinweisen muss, dass die Verbraucher von Energie gar nicht die Macht haben, das Ruder herumzureißen. In seinem Buch zeigte er auf, dass es die Besitzer vor Öl- und Gasquellen und der Kohlebergwerke seien, die die Atmosphäre beherrschen, die Deponie für immer mehr Kohlendioxid. Sinn lenkt deshalb die Aufmerksamkeit auf die Angebotsseite bei den Diskussionen um den Klimaschutz, die bisher völlig vernachlässigt wurde.

Ottmar Edenhofer und Matthias Kalkuhl, zwei Ökonomen des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung PIK, haben sich in einem Aufsatz mit dem Titel »Das ›Grüne Paradoxon‹ – Menetekel oder Prognose?«⁠7 gründlich mit Sinns Überlegungen auseinandergesetzt. Edenhofer ist auch Chefökonom und Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates.

Das Angebot verändert das Klima

Die beiden sind überzeugt: »Mit einseitiger Nachfragepolitik wie dem Verbot von Glühbirnen, der Einführung effizienterer Kühlschränke und auch dem Drei-Liter-Auto wird Klimapolitik scheitern: Müssen die Ölscheichs und Kohlebarone damit rechnen, dass sie in Zukunft weniger auf dem Weltmarkt verkaufen können, werden sie ihr Öl und ihre Kohle nur noch schneller aus dem Boden holen.« Die dann noch erzielbaren, durchaus geringeren Profite, könnten sie dann nämlich in Investitionen lenken, die höhere Renditen versprechen, als Öl, Gas und Kohle, deren Förderung in absehbarer Zeit vielleicht ganz eingestellt werden müsste. »Mit diesem Paradoxon scheinen zunächst alle bisherigen politischen (und individuellen) Bemühungen um ein stabiles Klima in Frage gestellt und die Lösung des Klimaproblems schier unvorstellbar«, schreiben die beiden Klimaökonomen weiter.

Länder, die sich energieeffiziente Techniken und Anlagen zum Einsammeln der verstreut auftretenden regenerativen Energien nicht leisten können, werden zugreifen und noch viel stärker auf fossile Energiequellen setzen.

Die Atmosphäre ist aber eine endliche Deponie für CO2 – jedenfalls wenn die Menschheit mit noch moderaten Wetterkapriolen überleben will. Jedes CO2-Molekül erhöht die Konzentration in der Atmosphäre und im Meer. Dort bleibt es für die nächsten Jahrhunderte, bevor es durch geochemische und biologische Prozesse wieder aufgenommen wird. Demgegenüber sind die Vorräte an fossilen Kohlenwasserstoffen jedoch schier unendlich. Würden sie in kurzer Zeit völlig ausgebeutet, würde so viel Kohlendioxid in die Luft gelangen und die Erde erwärmen, dass sie sich schon bald eine heiße Wüste verwandeln könnte.

Quellensteuer

Obwohl Sinn als Neoliberaler sich vehement gegen jegliche politische Marktregelungen wehrt, sieht er nur drei Möglichkeiten der Klimarettung: die fossilen Lagerstätten versiegeln, ein weltweites Emissionshandelssystem oder eine Quellensteuer einführen.

Er bevorzugt eine Quellensteuer auf die Profite aus der Öl-, Gas- und Kohleförderung, weil die Versiegelung der Lagerstätten nicht ohne Kriege ablaufen würde. Sie lasse sich relativ schnell verwirklichen. Denn nach seiner Ansicht seien internationale Übereinkommen zum Emissionshandel unrealistisch. Die gescheiterte Klimakonferenz in Warschau im November 2013 scheint ihm in dieser Hinsicht recht zu geben.

Edenhofer und Kalkuhl erkennen an, dass Sinn mit seiner Analyse der Angebotsdynamik einen neuen Aspekt ins Spiel gebracht hat, der bisher so noch nicht betrachtet wurde. Auch stimmen sie mit ihm überein, dass die derzeitige »grüne« Politik der Bundesregierung und der EU dazu führt, »dass die Ressourcen schneller gefördert werden als dies effizient wäre und damit den Klimawandel beschleunigen«.

Globaler Kohlenstoffmarkt

Doch anders als Sinn sehen sie durchaus eine Lösung in der Durchsetzung eines weltweiten Emissionshandels, also in einem globalen Kohlenstoffmarkt. 

Der solle aber in Form eines Nachfragekartells sehr schnell verabredet werden und spätestens ab 2020 wirksam werden. Das sei durchaus eine politische Mammutaufgabe, aber nicht unmöglich. Alles stehe und falle mit einem globalen Klimaabkommen, das den Besitzern der fossilen Rohstoffe die Profite kürzt, um der Weltbevölkerung die Eigentumsrechte über die Atmosphäre wieder zurückzugeben.

Bäumepflanzen ändert kaum etwas

Skeptisch sehen die PIK-Wissenschaftler auch Sinns Forderung nach einer Aufforstung von Wäldern und dem Erhalt von Urwäldern. Das könne zwar eine sinnvolle Ergänzung zum Emissionshandel sein, aber bisher waren internationale Waldabkommen deshalb erfolglos, weil die beteiligten Länder weder die Eigentumsrechte noch die Überwachung garantieren konnten. Hinzu komme, dass ausgewachsene Wälder die CO2-Bilanz kaum beeinflussen. Aufforstungen hätten also nur einen kurzzeitigen Effekt während der Wachstumsphase und könnten das CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger nicht dauerhaft aufnehmen.

Emissionshandel plus Technologie

Edenhofer und Kalkuhl ist genauso klar wie Sinn, dass Nachfragekartelle nicht besonders stabil sind. Es bestehe immer die Gefahr, dass ein Land wieder aus dem Vertragswerk ausscheide.

Wenn man allerdings die Technologie- und Innovationspolitik der reichen Länder mit dem Emissionshandel verbinde, so die PIK-Ökonomen, könne es klappen. Von neuen Effizienztechnologien und Innovationen sollten dann nur noch diejenigen Länder profitieren, die sich an der Verminderung der Emissionen beteiligen. Die anderen würden Gefahr laufen, technologisch in ihrer Entwicklung zurückzubleiben. Sie würden sich deshalb bemühen, einem solchen Kartell ebenfalls beizutreten.

Das Resümee der PIK-Ökonomen: Gelänge es nicht, den Emissionshandel in Verbindung mit einer aktiven Technologiepolitik global zu verwirklichen »wird die Klimapolitik scheitern. Eine illusionslose Klimapolitik mag schwierig und visionär sein, aber sie ist nicht aussichtslos. Das Grüne Paradoxon ist ein Menetekel und keine Prognose. Als Warnung ist es wichtig, als Prognose wäre es selbsterfüllend«.

Was kann jeder tun?

Es kann einem in der Tat schwindelig werden, wenn man ein paar Schritte zurücktritt, um sich das große Ganze anzuschauen. Vor dem globalen Hintergrund erscheinen die eigenen Anstrengungen, Strom zu sparen, weniger Auto zu fahren oder sich Solarzellen aufs Dach zu pflanzen entsetzlich unwichtig. Selbst wenn man 100 Millionen Gleichgesinnte um sich scharen könnte, sind sie verschwindend gering angesichts der Dimensionen um die es beim Klimaschutz geht – vor allem wenn man weiß, dass Deutschland mit seinen Anstrengungen für eine grünere Zukunft international fast alleine dasteht.

Neben einem klimaangepassten, eigenen Lebensstil ist es deshalb wichtiger denn je, sich politisch zu engagieren, sich zu empören und aufzustehen. Ob dabei die Parteien in parlamentarischen Demokratien die richtigen Partner sind, ist fraglich. Ohne weltweit agierende Umweltlobbys wird es nicht gehen, auch wenn die etablierten NGOs sich ebenfalls zunehmend in gefährliche Nähe zur Lobby der Besitzer fossiler Energien begeben. Eine alternative gibt es nicht.


1. Sinn, Hans-Werner (2013): Energiewende ins Nichts. Vortrag an der Universität München, 2013-12-16 http://mediathek.cesifo-group.de/player/macros/_v_f_750_de_512_288/_s_ifo/_x_s-764870657/ifo/index.html

2. Tageszeitung (2014-01-07): Strom aus Braunkohle – Höchste Produktion seit 1990 http://m.taz.de/Strom-aus-Braunkohle/!130520;m/

3. Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien (2013-12-04): Klimaschutzziele in Deutschland bis 2020 nicht zu erreichen. Pressemeldung http://www.iwrpressedienst.de/Textausgabe.php?id=4641

4. Sinn, Hans-Werner (2013): Energiewende ins Nichts. Vortrag an der Universität München, 2013-12-16 http://mediathek.cesifo-group.de/player/macros/_v_f_750_de_512_288/_s_ifo/_x_s-764870657/ifo/index.html

5. Statista (2013). Anzahl der Onshore-Windkraftanlagen http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20116/umfrage/anzahl-der-windkraftanlagen-in-deutschland-seit-1993/

6. Sinn, Hans-Werner (2008, revidierte Neuauflage 2012): Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Econ Verlag, 2008, ISBN 978-3-430-20062-2 und Ullstein Taschenbuch, 2012, ISBN 978-3-548-37396-6. Kurzfassung als PDF: Ifo Working Paper No. 54: Das grüne Paradoxon: Warum man das Angebot bei der Klimapolitik nicht vergessen darf http://ideas.repec.org/p/ces/ifowps/_54.html

7. Edenhofer, Ottmar; Matthias Kalkuhl (2009) Das ›Grüne Paradoxon‹ – Menetekel oder Prognose? http://www.pik-potsdam.de/members/edenh/publications-1/edenhofer_kalkuhl_gruenes-paradoxon


Zuerst erschienen bei think-eco.org (offline) am 2014-01-07